Freitag, 29. März 2013

Funkturm, Tarzan und zerbrochene Fensterscheiben Geschichten aus dem Corbi Teil 3


Funkturm, Tarzan und zerbrochene Fensterscheiben
Geschichten aus dem Corbi Teil 3


Ich habe ja bereits erzählt, dass ich die ersten 10 Jahre meines Lebens zusammen mit meiner 3 Jahre älteren Schwester in einem Zimmer leben musste.

Wer von euch ebenfalls gezwungen war, sich ein Zimmer mit seinen Geschwistern zu teilen, weiß dass dies für alle Beteiligten nicht immer wundervoll, harmonisch und zufriedenstellend ist. Ganz im Gegenteil, es bleibt einem kaum Privatsphäre und das ständige aufeinander Hocken führt unweigerlich zu Reibereien und Streitigkeiten.

Dieser Zimmerschlauch, wie wir gerne dazu sagten, hatte auch denkbar wenig Platz für uns beide.
Einen Kleiderschrank, ein Stockbett, 2 Schreibtische und ein Bücherregal damit war das Zimmer eigentlich schon überfüllt. Hätten wir da nicht die Möglichkeit gehabt, die Zieharmonikawand an der Balkonseite zu öffnen und unser Zimmer mit dem der Jungs zu verbinden, hätten wir wohl immer im großen Flur gespielt.

So aber wurde diese Wand geöffnet und gab uns die Möglichkeit zu Spielen und zu bauen und uns einfach rundum wohl zu fühlen. Wenn da nicht immer das lästige Aufräumen gewesen wäre….

Eine wunderschöne Zeit die meine Schwester und ich in diesem Schlauch verbrachten… dieses außergewöhnliche Stockbett, das nicht zwei Betten direkt übereinander hatte, sondern versetzt… ich konnte wählen, ob ich im Schutz der ‚Höhle‘ schlafen wollte oder mit freiem Blick auf die Decke….

Eine Zeit die genau so schön wie  anstrengend war…

Da gab es dieses Aprilscherzritual…
Ach wie herrlich amüsierte es doch meine großen Brüder, die kleinen Schwestern in den April zu schicken.
Oh wie eifrig wir beide, Maria und ich, versuchten es ihnen gleich zu tun und jedes Mal kläglich versagten…
Es gelang uns einfach nicht ernst zu bleiben, bei dem was wir erzählten, und genau aus diesem Grund scheiterten wir.
Bis dann eines Morgens meine Schwester mit einem gewohnt eleganten Schwung aus dem oberen Bett sprang, neben mir aufkam und entsetzt rief… „Oh mein Gott… der Funkturm ist weg!“
Als wär ich von der Tarantel gestochen, oder  hätte einen, eben gaaaanz fürchterlich erschreckenden Satz gehört…………. der Funkturm ist weg !!, fuhr ich hoch und verfiel sofort in Schnappathmung….

Oh, jung genug um sich vorzustellen, dass dies tatsächlich passieren könnte, dass es auch nur eine winzig kleine Abweichung in der gewohnten Aussicht geben könnte… infiziert von diversen Geschichten und abgeschreckt durch weitere grausame Märchen… oh ja es konnte durchaus den Tatsachen entsprechen.

Aus den Tiefen eines unschuldigen Traumes erweckt schreckte ich hoch, sprang aus dem Bett und ….
hmmmm …. Ich suchte verzweifelt, während meine Schwester sich vor Lachen bog… er war weg…. Einfach so, der West-Berliner Funkturm… der der dem Eifelturm nachempfunden war… spurlos verschwunden, als hätten ihn des Nächten irgendwelche dunkle Mächte gestohlen???

Erst als mein Bewusstsein richtig wach wurde, merkte ich, dass sich an diesem 1. April eine dichte Nebeldecke über Berlin legte und sowohl die Sonne als auch den Funkturm bedeckte… man stelle sich doch aber nur die Panik eines kleinen Mädchens vor, dessen Wahrzeichen über Nacht verschwand….
Meine Schwester genoss damals diesen Triumph… zum ersten Mal war es ihr gelungen jemanden in den April zu schicken… mich…

Aber dies ist natürlich nicht die einzige Geschichte, die sich um unsere gehasst/geliebte Zweisamkeit rankte.

Wie ich bereits nebenher erwähnte, gehörten wir zu einer der ersten Familien, die mit der Gnade eines Farbefernsehers bedacht wurden.
Im täglichen Fernsehprogramm gab es nicht viel, was uns interessierte, deswegen verbrachten wir die meiste Zeit im Freien oder mit unseren Freunden. Am Wochenende gab es aber dann diese Serien… Flipper… Lassie … und so.
Dann kamen da die Folgen von Tarzan…. Zuerst schwarz-weiß… Johny Weißmüller… ohh was ein Mann… dann die Folgen in Farbe und meine liebe Schwester schmolz dahin… während ich einen Kult für Winnetou entwickelte, verfiel meine Schwester dem muskulösen Charme der Tarzan Darsteller…

Wäre ich es gewesen, so würde ich mit Sicherheit in der Lage sein, euch die Namen der, wohlgemerkt wechselnden ultra attraktiven muskulösen Tarzan Darsteller zu nennen, aber ich litt mit Pierre Brice und Uschi Glas, während meine Schwester eine leere Zigarrenkiste zu ihrem persönlichen Tarzan-Schrein umfunktionierte.
Huh war sie aber bedacht darauf, dass ihre Zigarrenbox gründlich vor mir versteckt war…

Aber kleine Schwestern sind unerbittlich auf der Suche nach… haha… lange dachte ich nach Anerkennung, aber nein es ist der Neid, der einen voran treibt und der unbezwingbare Wille etwas über seinen Konkurrenten herauszufinden. Einen Schwachpunkt zu finden, etwas womit man angreifen kann…

Ach, auch wenn ich Winnetou in Unterhosen mit einem Taschentuchlatz, springend vom Wäschetrockner, imitierte…. mich am Treppengeländer schreiend auf die bösen Cowboys stürzte…. so bewahrte ich keinen Kult in einer Zigarrenschachtel…. Das machte es umso interessanter, dieses kleine Geheimnis herauszufinden… zu wissen, was in dieser Zigarrenschachtel war…

So machte ich mich dann auch eines Tages auf die Suche nach dieser Schachtel…
Lange hatte ich schon vermutet wo sie sich befinden könnte… bis ich sie dann fand.

Unser Stockbett stand direkt neben dem Schrank. In Ermangelung eines Stauraumes, hatte unsere Mutter dort, auf dem Schrank eine große Kiste mit Kleidung und einen Weidenkorb mit unseren überflüssigen Puppen und Stofftieren platziert. Mit Leichtigkeit konnte man vom oberen Bett auf diesen Schrank mit all seinen Geheimnissen (auch noch geschickt hinter einem von Mama genähten Vorhang versteckt)
Und genau in dem Weidenkorb mit all unseren überflüssigen Stofftieren fand ich dann die besagte Zigarrenkiste…

Teuflisch, wer da denkt, ich wäre auch nur annähernd in der Lage gewesen den gesamten Inhalt zu erkunden….

Gerade als ich die Schachtel öffnete und den ersten Zeitungausschnitt über Tarzan in Händen hielt…. just in diesem Moment rauschte der Vorhang zur Seite und eine wutentbrannte Schwester blickte mich an.
Es folgte ein heftiges Gerangel um die Zigarrenschachtel und deren Inhalt und es endete mit einem heftigen Stoß…
der mich mitsamt des Weidenkorbes … kerzengerade… nach vorne… vom Schrank beförderte….

Ein wahres Wunder, dass mir nichts geschah…
Nicht ganz, denn dieser Tumult mit all seinen optischen Auswirkungen blieb natürlich nicht verborgen…
Die Zigarrenkiste verschwand vor den neugierigen Blicken anderer Familienmitglieder… darin waren wir uns einig, in schwesterlicher Liebe…
Auch die Schimpfe teilten wir uns, froh dass bei dem Sturz nichts passiert war.
Danach wurde ich eingeweiht und kannte nun auch das Sammelsurium um Tarzan und Jane…
Wir spielten fortan gemeinsam den johlend Tarzan, der sich am Treppengeländer hinunterangelte und seine Jane vor den Gefahren des Dschungels bewahrte….
Ach was praktizierten wir doch für wunderbare Rituale… mit bedauern muss ich eingestehen, dass sie verloren gingen auf dem Weg nach Bayern…

Aber da kam dann doch noch die Geschichte die sich in den 70ern an diesen Weihnachtfeiertagen abspielte…
Unsere Mutter sorgte jedes Weihnachten für eine angemessene Atmosphäre. Nicht nur das gemeinsam praktizierte Plätzchen backen, sondern alle Vorbereitungen waren auf die gesamte Familie ausgerichtet. Nur eines durften wir Kleinen nie… den Christbaum vor der Bescherung sehen… Weihnachten war etwas Besonderes… alle fanden sich zusammen  und auch wenn meine große Schwester lange nicht mehr bei uns wohnte, meine beiden ältesten Brüder wenig Interesse zeigten, da in Ausbildung und Studium involviert… so war Weihnachten in unserem Hause immer eine der Zeiten in denen die gesamte Familie zusammen feierte…
Es war so schön wie immer, unsere Mutter hatte reichlich aufgekocht und die meisten der Familie verbrachten die Zeit mit angeregten Diskussionen oder ausgiebigen Spaziergängen.
Wie jedes Jahr wurden wir kleinen dazu verdonnert aufzuräumen. Ja, die Küchendienste und die Aufdeck- und Abräumdienste waren mit Hilfe eines ‚Dienstplanes‘ außerordentlich genau eingeteilt. Die Ausführung überwachte unsere Mutter und glaubt mir, ich bin heut noch beeindruckt, wie sie immer und jederzeit in der Lage war, dies auch durchzusetzen, ohne dass gleich die Fetzen flogen.
Aber es gehörte auch dazu, dass wir, wie jedes Jahr unsere Zimmer aufräumen mussten… meist hatten wir am 24. und  25. eine Freikarte… aber am 26. musste einfach aufgeräumt werden.

So kam es, das Maria und ich dazu verdammt wurden unseren Schlauch aufzuräumen.
Hach, wer unsere Gewohnheiten kannte, wusste bereits, dass es in diesem Zimmer eine Linie gab… die ‚unsichtbare Linie‘ die das Zimmer in die jeweiligen Aufräumbereiche aufteilte…. eine Überschreitung dieser Linie war nicht gestattet und zog entsprechende Konsequenzen mit sich…. Streit!!!

So kam es, dass wir an diesem einen 26. das Zimmer aufgeräumt werden musste….

Kennt jemand eigentlich diese Steiff Teddys? Diese, heute unglaublich seltenen und auch teuren, harten Stoffbären, die beim Aufrichten dieses ‚MUUUH‘ von sich gaben? Vollkommen egal, ob ihr das wisst oder nicht, denn von einem Bekannten unserer Eltern hatten wir diese Teddys geschenkt bekommen. Zwei absolut gleiche Teddys in ein und demselben Zimmer….
Woahhh… das schreit förmlich nach einem Konflikt…

Der dann auch entstand, und zwar genau wegen diesem Steiff-Teddy… zwei Mal
 vorhanden in diesem Kinderzimmer…. Zwei fast identische Bären und…. diese unsichtbare Linie….
Das nicht sichtbare Trennungszeichen, welches die Aufräumbereiche in grün und rot einteilte…. und dann dieser Teddy, ein bedauernswertes Geschöpf, was in zweifacher Ausführung existierte….

Dieser Teddy… ich will im Nachhinein nicht spekulieren ob es sich tatsächlich um meinen oder dem meiner Schwester handelte, sie waren einfach identisch… er lag nun mal so unverfangen und unschuldig auf der unsichtbaren Linie….
und der Streit begann…
Der arme Kerl wurde aufgehoben und auf die gegnerische Seite geworfen… von welcher er umgehend zurück ins Feindesland verfrachtet wurde…
hmmm wir sprechen jetzt nicht von einem Kuschelteddy, die alten ‚mähenden‘ Steiff-Teddys waren alles andere als das…
Uuhm… dieses arme Geschöpf wechselte zwangsweise des Öfteren die Grenze… jedes Mal begleitet von einem empörten ‚Möööh‘
Bis meine Schwester ihn am Arm packte, wütend ausholte und ihn nach mir warf….
ich duckte mich und mit einem ‚möööh‘ traf der Teddy auf die Fensterscheibe hinter mir… es barst… es splitterte… der arme Teddy landete auf dem kalten Balkon….

Es war der 26. Dezember an einem Weihnachtsfest in den 70ern…. Es gab noch keinen Glasernotdienst und auch so niemanden der einem helfen konnte….

Habe ich euch schon erzählt, das es in der gesamten Wohnung unglaublich zog, wenn irgendwo ein Fenster geöffnet war??
Hab ich euch gerade erzählt, dass es Dezember… genau der 26te… kalt, windig, ungemütlich war??

Ach ja, es existierte so etwas wie ein Glasernotdienst nicht… und vor allem solche Leute hätten garantiert niemals am Wochenende oder gar an den Feiertagen gearbeitet!!!

Die große Scheibe barst, der Teddy schnappte als erstes die kalte Dezemberluft in gruseligen Höhen… und es gab weit und breit niemanden, der dieses Loch stopfen konnte….
Ohhh… wie schnell die Ohrfeigen ausgeteilt wurden und sogleich nach entsprechendem  ‚Lochstopf‘ gesucht wurde…

Glücklicherweise fand man einen Karton, der groß genug war um die Fensterfläche abzudecken, jedenfalls so lange bis die Glaser wieder ihren normalen Dienst einnahmen.

Hiermit wüsch ich euch…
nein, nicht frohe Weinhachten, die sind lang vorbei
Ich wünsch euch ein schönes Osterfest



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