Sonntag, 10. März 2013

Die Tankstelle


Da das Leben weitergeht, mit Freunden oder auch ohne, gehe ich nun dazu über, euch abermals eine kleine Geschichte zu erzählen.
Eigentlich wollte ich die Chronologie nicht durcheinander bringen und euch Geschichten aus meiner Kindheit gemischt mit aktuellen oder kürzlich vergangenen erzählen. Aber nun ja genau dies ist ja schon geschehen. So also kommen wir heute zu einer, die mir nicht nur schon seit einigen Tagen im Kopf herumspukt, sondern die noch gar nicht so lange her ist. So möchte ich beginnen:


Arbeiten macht mir eigentlich Spaß.
Eigentlich, denn die Sache mit der Tankstelle war zumindest zu Beginn alles andere als lustig.

Ich erinnre mich genau daran, dass ich gerade diesen wundervollen, vom Arbeitsamt gesponserten Kurs für Wirtschaftsenglisch mit ‚destinction‘ und ‚credit‘ bestanden hatte. Mit stolzgeschwellter Brust machte ich mich eifrig daran einen geeigneten Halbtagsjob zu ergattern. Natürlich sollte dieser unbedingt auch was mit Wirtschaft und Englisch zu tun haben.
Immerhin hatte ich ja nun zum wiederholten Male bewiesen, dass ich eben nicht mein Hirn am Eingang zum Kreissaal abgegeben hatte.
Am liebsten wäre mir da so eine Kombi aus Buchhaltung und Außenhandel gewesen.
Am liebsten, ja sicher, schön wär’s, aber garantiert nicht bei mir.
In Ermangelung eines dicken Sparkontos blieb mir nichts anderes übrig als mich auf jeden noch so blöden Job zu bewerben, damit das Amt ja nicht auf die Idee kam, mir meine Bezüge zu kürzen.
Nun, immerhin galt es hier einen 6 Personen Haushalt zu versorgen. Und diese 6 hatten nun mal ständig Hunger und Durst.

Ein paar Monate des erfolglosen Bewerbens und der teilweise frustrierenden Absagen, bekam ich dann, ich glaub es war Ende Mai oder so, einen Anruf meines Arbeitsvermittlers.
‚Es gäbe da eine Anfrage eines Geschäftsinhabers, für eine Bürohilfe mit Buchhaltungskenntnissen halbtags und das auch noch direkt vor ihrer Haustür…‘
In diesem Moment wurde bereits mein Mund trocken und das Herz klopfte bis zum Hals. Was für eine tolle Sache!! Hier vor der Tür, kein Auto nötig, halbtags und dann noch Buchhaltung!
 ‚Ja?!‘ brachte ich dem Mann am anderen Ende inbrünstig entgegen.
 ‚Es hätte aber dann wohl einen Nachteil‘ fügte er beiläufig hinzu. Unweigerlich musste ich schlucken, das Hirn begann bereits wie wild zu arbeiten..
 ‚So, und der wäre?‘ fragte ich zögerlich nach..
‚Die Arbeitszeit wäre von Montag bis Freitag 13 – 17 Uhr‘

…. Ich überlegte kurz und ohne an irgendwelche Betreuungsmöglichkeiten meiner Kinder zu denken, antwortete ich selbstbewusst
 ‚Na und?‘
 ‚Da bin ich aber erleichtert‘ klang es mir aus dem Hörer entgegen und ich fragte
 ‚und wo soll ich mich bewerben?‘ Daraufhin folgte die Adresse und die Telefonnummer und der Hinweis
 ‚ich solle gleich noch anrufen, man würde mich sicher heute noch sehen wollen‘

Weder die Adresse noch die Telefonnummer musste ich mir notieren, ich kannte sie! Nur zu gut, und dieses Kennen war nicht von der freundlichen, freudigen Sorte.
Nachdem ich das Gespräch beendet hatte, fühlte ich mich als hätte mir jemand eine übergebraten, so richtig mit einer schweren Schneeschaufel...

Meine Gedanken schlugen Kapriolen, was sollte ich nun tun?
Der Geschäftsinhaber war hier im Ort für sein aufbrausendes, ungeduldiges, cholerisches Verhalten bekannt, außerdem hatten wir bereits persönlich ungute Erfahrungen mit ihm gemacht.
Ich fing an nervös in der Wohnung herumzulaufen, das ist eine ganz schöne Strecke, wenn man die Größe unserer Wohnung betrachtet. Die Gedanken bewegten sich mit Lichtgeschwindigkeit. Ständig dieses: soll ich? Oder lieber nicht? Mehrfach nahm ich das Telefon aus der Station und schaute es an, steckte es dann doch wieder weg und lief vom Wohnzimmer in die Küche. Setzte mich dort um doch wieder aufzustehen, den Radio auszumachen und erneut das Telefon zu greifen.

Ich hatte keine Ahnung was ich jetzt tun sollte, würde ich nicht anrufen, dann hätte dies auf jeden Fall Konsequenzen (der Vermittler hatte sich extra für mich eingesetzt!)
Ruf ich an, stell mich vor und die nehmen mich auch noch!! Was dann? Wohin mit den Kindern? Könnte ich das so schnell regeln? Und dann… wenn man es als Kunde dort schon nicht toll findet, wie sollte das als Angestellte gehen? Eine Tankstelle mit Werkstatt… was wär da an Verdienst zu erwarten? Eher nicht viel… gut ich bräuchte kein Auto…

Ich wählte… aber die Nummer meines Mannes auf der Arbeit 
Seine ersten Worte waren: ‚Du störst‘
Ich sagte ‚ist aber dringend‘
‚Dann mach kurz‘ kam von der anderen Seite
Kurz!! Wie stellte er sich das vor, ich und mich kurz fassen, unmöglich!
Ich beeilte mich schnell  die Tatsachen herunterzuleiern.
‚Ja und was soll ich jetzt dazu sagen?‘ entgegnete er mir
Verzweifelt nach Hilfe suchend sagte ich
‚Was soll ich tun? Soll ich wirklich anrufen?‘ 
Ich wusste, dass Privatgespräche auf seiner Arbeit nicht gern gesehen waren und ich eigentlich nicht stören sollte. Höchstens wegen einem Notfall, aber nicht wegen so was… Aber dieses Was brannte wie Chili im Auge.
Unvermittelt fing er an zu lachen und sagte: ‚Ruf an, nach den gemeinsamen Erfahrungen, die wir hinter uns haben, wirst du eh nicht genommen.‘
Jetzt war ich ein wenig sprachlos, von dieser Seite hatte ich das Ganze noch gar nicht betrachtet, das war eine Option, die ich vor lauter Aufregung völlig außer Acht gelassen hatte.
‚Noch was?‘ fragte mein Mann und fügte hinzu ‚ich muss weitermachen.‘
Ohne dass er es sehen konnte schüttelte ich den Kopf und sagte ‚Nein‘
‚Dann bis heut Abend‘ verabschiedete er sich noch ich erwiderte ‚Ja, bis dann‘ und legte auf.

Ich sammelte mich kurz, auf keinen Fall wollte ich die gerade frisch erworbene Zuversicht wieder verlieren, und wählte die Nummer der Tankstelle.

Am anderen Ende hatte ich dann die freundliche Stimme der Chefin.
Erleichtert, nicht gleich direkt mit dem Chef sprechen zu müssen, schilderte ich mein Anliegen. Wir vereinbarten ein persönliches Gespräch am Nachmittag, dann wenn eine ihrer Töchter ebenfalls anwesend sein würde. Wir besprachen kurz, welche Unterlagen sie gerne gesehen hätte und bevor wir uns verabschiedeten fragte sie noch
‚Sind sie jetzt die Frau B. vom Marktplatz?‘
Irgendwie war das komisch, gerade noch dachte ich schon, sie hätte total vergessen dass man sich unangenehm kannte… und dann fühlte ich mich irgendwie erleichtert, jetzt würde das bestimmt nix werden. Ich bestätigte mit einem ‚Ja‘ und sie fügte hinzu ‚Gut, dann bis heute Nachmittag‘

Ordentlich richtete ich meine Unterlagen zusammen. Wenn das nun nix werden sollte, so konnte ich doch wenigstens meine Bemühungen belegen. Ich setzte mich hin und berechnete wie viel ich mindestens verdienen musste. Es schwelte schon der Gedanke, es mit übertriebenen Gehaltsforderungen auch noch zu versaun…

Als meine 2te Tochter von der Schule kam, drückte ich ihr aufs Auge, unseren Jüngsten vom Kindergarten abzuholen.
Ich selbst stand über eine halbe Stunde vor dem geöffneten Kleiderschrank und fand … nichts Gescheites

Da mir diesmal nicht so ungeheuerlich wichtig war, diesen Job unbedingt zu bekommen, entschied ich mich für eine Jeans und ein einfaches buntes Shirt.

Wie es die Menschen, die mich kennen auch von mir gewohnt sind, stand ich überpünktlich vor dem Gelände der Tankstelle. Ohne dass ich vom Kassenbereich/Büro gesehen werden konnte rauchte ich schnell noch eine Zigarette.
Dann straffte ich mich und stellte mich dieser unendlich unangenehmen Situation eines Bewerbungsgesprächs.

Hatte ich mir noch vor wenigen Minuten alles fein säuberlich zurechtgelegt, so wurde nun alles genau so fein und säuberlich zerpflückt und wieder über den Haufen geworfen.
Das Gespräch lief von der ersten Minute anders als geplant… wie war das noch? … Ich wollte doch auf keinen Fall dort anfangen zu arbeiten… hmm… und ich quatschte mich doch nicht tatsächlich in diesen Job…
Eine dreiviertel Stunde später ging ich und hatte den Job. Nur zur Info, das ‚etwas‘ mehr an Verdienst hatte ich ebenfalls.

Ich habe 3 ½ Jahre in diesem Betrieb gearbeitet 5 Tage die Woche 4 Stunden am Nachmittag. Es war bei Weitem kein einfacher Job, auch kein Tankwart oder ähnliches. Das war volles Programm ein Mädchen für alles. Buchhaltung, Kundenbetreuung, Ersatzteile bestellen, Sogar mal eben schnell in einen Motor fassen, weil kein anderer da war.
Rückblickend möchte ich diese Zeit nicht missen, es war allemal eine Erfahrung wert und genau genommen, die positiven Erfahrungen überwogen.

Jetzt, nachdem ich seit bereits 2 Jahren nicht mehr dort tätig bin, seit sich mein ehemaliger Chef im stolzen Alter von über 70 endlich zur Ruhe setzen konnte, jetzt trifft man sich und von der einstigen Abneigung ist nichts mehr zu spüren.

Vielleicht fällt mir noch die eine oder andere Anekdote aus dieser Zeit ein, diese Möglichkeit möchte ich mir hiermit offen halten.

Für heute wünsch ich allen noch einen schönen Sonntagabend

Liebe Grüße
Veronika

2 Kommentare:

  1. Hey
    Ich glaub, ich hätte das gleiche getan. Auf einer Seite hätte ich den Job nicht gewollt aber es wäre gegen meine Prinzipien und Stolz gewesen nicht wirklich alles in diesem Gespräch zu geben. Hatte auch schon einige Job Angebote des Arbeitsamtes bekommen, selbst Zeitarbeitsfirmen - zu denen ich nie wollte. Selbst da gibt es ja Bewerbungsgespräche. Ich bin da mit Bauchweh hin, weil ich nicht wollte, aber ich hab immer alles gegeben!

    Deine Geschichte gibt einem echt Mut, selbst wenn nicht immer alles rosig aussieht dennoch alles zu geben. Kann sich ja, wie man sieht, immer zum Guten wenden :)

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    1. Hach, das war wirklich witzig, denn ich hatte den festen Vorsatz nicht genommen zu werden :)
      Das hat sich im Gespräch so verselbständigt, dass ich es nicht mehr aufhalten konnte...
      hinterher hab ich mir auch gedacht 'du Depp!'

      Veronika

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